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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 25.08.2005
Aktenzeichen: 1 VAs 28/05
Rechtsgebiete: BtMG
Vorschriften:
BtMG § 35 |
Beschluss
Justizverwaltungssache
betreffend W.J.
wegen Rechtsmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden (hier: Zurückstellung der Strafvollstreckung gem. § 35 BtMG)
Auf den Antrag des Betroffenen vom 15. Juni 2005 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 30. Dezember 2004 in der Form des Beschwerdebescheides des Generalstaatsanwalts in Düsseldorf vom 18. Mai 2005 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 25. 08. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Generalstaatsanwalts in Hamm beschlossen:
Tenor:
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird auf Kosten des Betroffenen verworfen.
Der Geschäftswert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.
Gründe:
Der Antragsteller, der sich in diesem Verfahren vom 19. November 2003 bis zum 11. Dezember 2003 in Untersuchungshaft befand und seit dem auf freiem Fuß ist, ist durch Urteil des Landgerichts Duisburg vom 25. Mai 2004 wegen unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 4 Fällen rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden. Des weiteren ist die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden.
Auf das Aufnahmeersuchen der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 30. Dezember 2004 hat der Landschaftsverband Rheinland den Verurteilten auf die Warteliste gesetzt, weil seine Unterbringung auf Grund eines fehlenden Behandlungsplatzes zur Zeit nicht möglich ist. Zuletzt nahm der Verurteilte Platz 36 auf dieser Warteliste ein.
Mit Schreiben vom 22. November 2004 und 17. Dezember 2004 beantragte der Verurteilte die Zurückstellung der Vollstreckung der Strafe und der Unterbringung gem. § 35 BtMG. Dieser Antrag ist am 30. Dezember 2004 von der Staatsanwaltschaft Duisburg zurückgewiesen worden, da nach Abzug der verbüßten Untersuchungshaft der zu vollstreckende Strafrest 2 Jahre übersteige, § 35 Abs. 3 Nr. 2 BtMG. Aus dem selben Grund hat die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf mit Bescheid vom 18. Mai 2005 die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 15. Juni 2005 hat der Antragsteller nunmehr Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. §§ 23 ff. EGGVG gestellt. Zur Begründung trägt er vor, er absolviere seit dem 25. März 2004 eine Therapie. Die Staatsanwaltschaft habe bei ihrer Entscheidung die Möglichkeit übersehen, dass die Vorschrift des § 36 Abs. 3 BtMG die Anrechnung von Therapien insbesondere in den Fällen, wenn ein Verurteilter die Zeit eines Verfahrens nutzt, freiwillig eine Therapie antritt und das Ergebnis des Zurückstellungsverfahrens gar nicht erst abwartet, ermöglicht. Wenn aber die nun fast 15 Monate dauernde Therapie angerechnet würde, verbliebe ein Strafrest von weniger als 2 Jahren, so dass die formellen Voraussetzungen des § 35 BtMG gegeben wären. Aus diesem Grunde beantragt der Antragsteller, die Bescheide der Staatsanwaltschaft Duisburg und des Generalstaatsanwalts in Düsseldorf aufzuheben, die absolvierte Therapie auf die Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Duisburg vollständig anzurechnen sowie die nach Anrechnung noch verbleibende Strafe gem. § 35 BtMG zurückzustellen.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. §§ 23 ff. EGGVG ist zwar zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Ablehnung der Zurückstellung der weiteren Strafvollstreckung durch die Staatsanwaltschaft ist nicht zu beanstanden.
Gem. § 35 Abs. 3 Ziff. 2 BtMG kann die Vollstreckung der Strafe oder eines Strafrestes zurückgestellt werden, wenn der zu vollstreckende Rest der Freiheitsstrafe 2 Jahre nicht übersteigt. Dies ist vorliegend nicht der Fall, da der Antragsteller von der Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten erst 23 Tage durch Untersuchungshaft verbüßt hat. Von daher kommt eine Zurückstellung der Strafvollstreckung gem. § 35 BtMG nicht in Betracht.
Zwar ist dem Antragsteller zuzugeben, dass § 36 Abs. 3 BtMG die Möglichkeit eröffnet, die Zeit einer Behandlung der Abhängigkeit nach der Tat auf die Strafe abzurechnen. Aber auch diese Möglichkeit führt vorliegend nicht zu einem anderen Ergebnis.
Zum einen trifft die Entscheidung, ob eine derartige Therapie auf die Strafe angerechnet wird, gem. § 36 Abs. 5 BtMG das Gericht des ersten Rechtszuges. Eine solche Entscheidung ist vom Antragsteller bisher nicht veranlasst worden. Weder die Staatsanwaltschaft noch das Oberlandesgericht sind für eine solche Entscheidung zuständig. Es ist auch nicht Aufgabe des Staatsanwalts, das Vorbringen des Antragstellers in diesem Sinne auszulegen und die Sache zur Entscheidung dem Landgericht Duisburg vorzulegen. Der Antragsteller ist vielmehr gehalten, einen entsprechenden Antrag an das Gericht des ersten Rechtszuges zu stellen. Bereits aus diesem Grund kann der Antrag zu Ziff. 2 keinen Erfolg haben.
Darüber hinaus ist eine Therapieanrechnung nach § 36 Abs. 3 BtMG zum jetzigen Zeitpunkt ohnehin nicht zulässig. Die Anrechnung einer Drogenentwöhnungsbehandlung gem. § 36 Abs. 3 BtMG kommt nämlich erst in Betracht, wenn der zu vollstreckende Strafrest 2 Jahre nicht übersteigt (OLG Hamm, MDR 1987, 166; OLG Hamm NSDZ 1987, 246; Hanseatisches OLG, Strafverteidiger 1989, 258; OLG Zweibrücken NSDZ 1991, 92; Körner, BtMG, 5. Aufl., § 36 Rdnr. 27 ff.). Das ergibt sich zwar nicht unmittelbar zwingend aus dem Wortlaut der gesetzlichen Vorschrift des § 36 Abs. 3 BtMG, falls nur dieser Absatz allein berücksichtigt wird. Eine derartig isolierte Betrachtungsweise bei der Auslegung dieser Bestimmung ist jedoch unrichtig; vielmehr ergibt sich aus dem Zusammenhang der gesetzlichen Vorschriften des § 35 und des § 36 BtMG, dass auch für eine Anordnung nach § 36 Abs. 3 BtMG die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 und Abs. 2 des Gesetzes hinsichtlich der verhängten Strafe oder des noch zu verbüßenden Restes vorliegen müssen. Für eine Anrechnungsfähigkeit und für eine Anrechnung von Behandlungszeiten ist in jedem Fall erforderlich, dass eine höhere Strafe als 2 Jahre nicht verhängt worden ist oder dass der noch zu vollstreckende Rest 2 Jahre nicht übersteigt. Dieser Wille kommt im Gesetz dadurch zum Ausdruck, dass § 35 Abs. 1 und Abs. 2 BtMG an den Beginn der weiteren Vorschriften über die besonderen gesetzlichen Maßnahmen bei Betäubungsmittelabhängigen im Vollstreckungsverfahren gestellt worden ist; hierdurch wird ersichtlich, dass die in § 35 und § 36 BtMG festgesetzten gesetzlichen Maßnahmen nur unter diesen dort genannten Grundvoraussetzungen angeordnet werden sollen. Bei zusammenfassender Sicht der genannten Bestimmungen ist der Zweck dieser Vorschriften erkennbar nicht, ganz allgemein bei allen betäubungsmittelabhängigen Tätern unabhängig von dem Unrechts- und Schuldgehalts der von ihnen begangenen Taten Therapiezeiten auf die Strafe anzurechnen, sondern nur bei solchen, die entweder nur eine Strafe von nicht mehr 2 Jahren von vornherein zu verbüßen haben oder bei denen der noch zu vollstreckende Rest 2 Jahre nicht übersteigt. Therapie sollte nicht in jedem Fall an die Stelle der Strafe treten, sondern - zumindest bei Taten mit erhöhtem Schuldgehalt - neben die Strafe treten; dass ist durch § 35 Abs. 1 und Abs. 2 BtMG zu Beginn der besonderen Anrechnungs- und Aussetzungsvorschriften deutlich zum Ausdruck gebracht worden. Es fehlt im Gesetz an jedem Anhalt dafür, dass die Anrechnung von Behandlungszeiten auf die erkannte Strafe gem. § 36 Abs. 3 BtMG völlig losgelöst werden sollte von den Grundvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 und Abs. 2 BtMG hinsichtlich der Strafhöhe; wenn eine derartige Regelung hätte vorgeschrieben werden sollen, so hätte das ausdrücklich und eindeutig angeordnet werden müssen. Das ist aber nicht geschehen. Aus dem Zusammenhang der gesetzlichen Bestimmungen ergibt sich vielmehr deutlich, dass es sich bei § 36 Abs. 3 BtMG um eine Auffangvorschrift handelt, die Unbilligkeiten des obligatorischen Anrechnungsmodus verhindern, nicht aber den Umfang der Anrechnungsmöglichkeit erweitern soll und dadurch zusätzliche Unbilligkeiten schaffen würde. Die fakultative Anrechnung nach § 36 Abs. 3 BtMG soll die obligatorische Anrechnung ergänzen, nicht aber einen größeren Anrechnungsumfang bieten. § 36 Abs. 3 BtMG kann deshalb nicht ergänzend, sondern nur ersatzweise für § 36 Abs. 1 BtMG herangezogen werden. Die fakultative Anrechnung darf deshalb nicht mehr Anrechnung gewähren, als die obligatorische Anrechnung (OLG Hamm, NStZ 1987, 246). Da der Antragsteller vorliegend noch mehr als 2 Jahre Restfreiheitsstrafe zu verbüßen hat, kommt daher eine Anrechnung gem. § 36 Abs. 3 BtMG nicht in Betracht. Demnach können zum jetzigen Zeitpunkt auch durch eine Anrechnung der Therapie nicht die formellen Voraussetzungen gem. § 35 BtMG geschaffen werden, so dass eine Zurückstellung der Strafvollstreckung nicht in Betracht kommt.
Der Antrag war nach alledem als unbegründet zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO.
Ende der Entscheidung
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